Folge dem Klebestreifen ins Freie! –Neues Rathaus
Folge dem Klebestreifen ins
Freie! – Neues Rathaus
projekt von Mario Buchberger und David Rall
Das Neue Rathaus ist ein öffentliches Gebäude. Ein Ort, an dem Hochzeiten und Bälle gefeiert werden, Ausstellungen, Kongresse und Seminare stattfinden, sprich –ein Ort sozialer Ansteckung der Vor-Corona-Zeit. Wir wollten in unserer Expedition herausfinden, in wie weit die Architektur und ihre Erschließung dazu einladen, den Ort als solchen zu nutzen. Wie ist die Zugänglichkeit? Ist der Komplex auch ein Ort, an dem soziale Ansteckung aktuell anders stattfinden kann?
INNEN UND AUSSEN – BEOBACHTUNGEN
Beim ersten Begehen am frühen Morgen erwies sich die Orientierung im Gebäude als schwierig. Ein Labyrinth von bunten Markierungslinien auf dem Boden, Schilder mit Hinweisen und Verboten an den Türen, ergänzt mit Zetteln mit Informationen zu den aktuellen Corona-Sicherheitsregeln, verstärken unseren Eindruck: Hier müssen Besucher*innen geleitet werden, um nicht in dem großen Gebäudekomplex mit seinen vielen Gängen, Büros und Tagungsräumen die Orientierung zu verlieren. Absurderweise erlebten wir mit dieser Fülle an visuellen Zeichengenau das Gegenteil: ein Gefühl der Verlorenheit, Orientierungslosigkeit und keine Zugänglichkeit.
EIN WOW EFFEKT
war für uns das „Außen“ des Gebäudes, welches wir nur durch Zufall entdeckten, da kein Leitsystem dorthin führt: Das Neue Rathaus verfügt über eine riesige begrünte, terrassierte Dachlandschaft mit einem wunderbaren Blick auf die Donau und zur Altstadt. Darüber hinaus gibt es mehrere versteckte Innenhöfe mit einer interessanten Akustik. Im Gespräch mit Angestelltenstellte sich heraus, dass seit Jahren die Zugänge zu den Terrassen von der Straße her nicht mehr möglich sind, da nächtliche Störungen von Obdachlosen oder Feiernden „ausgeschlossen“ werden sollten. Seitdem gelangen Besucher*innen nur noch durch das Gebäude und nur zu den Öffnungszeiten zu diesen reizvollen Außenbereichen. Bei der Erkundung der Innenhöfe fiel uns auf, dass Geräusche aus deren Zentrum auch auf anderen Geschossen sehr klar hörbar waren. Die Höfe erinnerten uns mit ihren zurückspringenden Balkonelementen an Ränge in Theatern, insbesondere an das Globe Theatre in London mit seiner nach innen gerichteten Freiluftbühne. Wir ließen uns von dem Aufbau und der Akustik zu Ideen für neue Arten der Nutzung, die für das „öffentliche Gebäude“ spannend sein könnten, inspirieren: öffentliche Veranstaltungen, Konzerte und Theaterstücke unter freiem Himmel, bei denen das Publikum von den Rängen aus das Geschehen beobachten kann. Welches Potential an „sozialer Ansteckung“!
KLEBESTREIFEN FÜR EINE NEU-ERÖFFNUNG – INTERVENTION
Wir fragten uns: Warum richtet sich die gesamte Kommunikation –Schilder, Hinweise und alle anderen Leitsysteme–ausschließlich auf das „unzugängliche“ Innere: auf das Erdgeschoss mit seinem Meldewesen und die kühlen Büros in den oberen Etagen? Warum sollen die Wegmarkierungen allein Orientierungshilfen für die Innenräume bieten, wenn –durch die Corona-Pandemie umso mehr –das „Draußen“, die Innenhöfe, attraktive Zielorte sind? Wir entschieden uns das Leitsystem des Neuen Rathauses auszuweiten, um die Wohlfühlorte des Gebäudes sichtbar zu machen: Die Bodenmarkierungen wurden klandestin mit weißem Klebeband erweitert, um die Besucher*innen aus den Gängen in die Innenhöfe–ins Freie –zu führen. Hinaus ins Freie!